Die Funktion der oberen Halsmuskeln
von Bettina Bickel
Das Wichtigste in Kürze
„Vorwärts-Abwärts“ alleine reicht nicht aus, um einen Reiter ein Pferdeleben lang unbeschadet tragen zu können
Durch Aufrichtung und Versammlung lernt das Pferd, die Last auf die Hinterhand zu verlagern, gleichzeitig geht dabei jedoch die Spannung im Nackenrückenband verloren
Die Muskulatur des Oberhalses muss trainiert werden, um die Funktion des Nackenrückenbandes in der Aufrichtung zu übernehmen und den Rücken zu tragen
Die obere Halsmuskulatur (schematisch).
In diesem Artikel
Warum „Vorwärts-Abwärts“ nicht ausreicht
Im vorherigen Artikel haben wir erfahren, dass die Natur dem Pferd durch die „Obere Verspannung“ einen effektiven Mechanismus geschaffen hat, um das Gewicht des Rumpfes in natürlicher Umgebung ohne Schäden tragen zu können. Wir haben uns ebenfalls angesehen, wie wir uns als Reiter diesen Mechanismus im „Vorwärts-Abwärts“ zu Nutze machen können, damit das Pferd auch unser Gewicht schadlos tragen kann. Warum „Vorwärts-Abwärts“ allein allerdings nicht ausreicht, wollen wir uns in diesem Artikel genauer anschauen.
Natürlich stellt sich die Frage, warum wir nicht einfach ein Pferdeleben lang „Vorwärts-Abwärts“ reiten und so unserem Pferd einen gesunden Rücken ermöglichen können. Der Grund dafür ist das zusätzliche Gewicht, das wir als Reiter auf dem Rücken des Pferdes platzieren. Von Natur aus lastet durch den schweren Kopf und Hals des Pferdes der größte Teil des Gewichts auf der Vorhand. Etwa 60% des Pferdegewichts werden von der Vorhand getragen, den kleineren Rest übernimmt die Hinterhand. Als Reiter platzieren wir unser Gewicht nun ebenfalls auf der Vorhand, was zu einer zusätzlichen Belastung und der Gefahr einer Überlastung der Vorhand führt. Das oberste Ziel der Dressur ist daher eine stärkere Lastaufnahme durch die Hinterhand und die Umkehrung der Lastverteilung durch Aufrichtung und Versammlung.
Was sind Aufrichtung und Versammlung?
Aufrichtung und Versammlung sind zwei direkt miteinander verbundene Begriffe. Die Aufrichtung ergibt sich durch die Versammlung, also die vermehrte Lastaufnahme der Hinterhand. Gemeint ist eine tatsächliche, optische Aufrichtung des Pferdes. Das Pferd wird aus der Schulter heraus größer, die Hinterhand übernimmt mehr Last, der Schwerpunkt verlagert sich nach hinten – kurzum: das Pferd ist versammelt.
Der Grad der Aufrichtung ergibt sich aus der Höhe der Anlehnung – je höher die Anlehnung, desto größer die Aufrichtung. Der korrekten Anlehnung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie darf nicht durch vermehrte Zügeleinwirkung erzwungen werden, sondern soll mit leichten Zügelkontakt und weicher Verbindung erreicht werden, so dass sich das Pferd selbst trägt und sich nicht auf den Zügel verlässt und stützt.
Was hat das nun mit der oberen Verspannung zu tun?
Der Grad der Aufrichtung und Versammlung hat direkten Einfluss auf die obere Verspannung. In der Versammlung übernimmt die Hinterhand mehr Last, die Kruppe wird „runder“. Das geschieht durch vermehrtes Abknicken im Lumbosakralgelenk (Übergang zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein). Wie wir aus dem vorherigen Artikel wissen, ist das lange Nackenrückenband direkt auf den Dornfortsätzen des Kreuzbeins befestigt und endet dort. Knickt das Kreuzbein in der Versammlung mehr ab, gerät das Band mehr in Spannung und die bereits bekannten Tragemechanismen des Bands werden aktiviert.
Gleichzeitig hebt sich nun der Pferdehals in der Aufrichtung jedoch mehr an. Die Spannung des Nackenrückenbands vermindert sich dadurch also wieder, da der Hals des Pferdes und somit auch das Nackenrückenband „kürzer“ wird. Je höher und enger die Aufrichtung des Halses, desto weniger Spannung ist also im Nackenrückenband und desto mehr muss die Tragearbeit des Nackenrückenbands nun anderweitig geleistet werden. Diese Funktion übernimmt nun die obere Halsmuskulatur des Pferdes. Je höher die Aufrichtung, desto mehr muss also auch die Halsmuskulatur arbeiten, um den Rücken an Stelle des Nackenrückenbandes aufzuwölben. Hier ist insbesondere die Muskulatur relevant, die den Rumpf anhebt und die Dornfortsätze des Widerrists aktiv nach vorne Richtung Kopf „auffächert“, genauso wie des Nackenrückenband es macht.
Welche Halsmuskeln sind besonders relevant?
Für die Aufrichtung besonders relevant ist insbesondere die obere Halsmuskulatur, die bei richtigem Training dann auch zur gewünschten, runden Oberlinie des Pferdehalses führt. Die obere Halsmuskulatur besteht aus mehreren Schichten. Von außen nach innen sind insbesondere die im folgenden aufgeführten Muskeln wichtig.
M. rhomboideus (rautenförmiger Muskel)
Der rautenförmige Muskel liegt unterhalb des Trapezmuskels. Er entspringt an den Dornfortsätzen der ersten Brustwirbel, sowie der Halswirbel und am Sehnenstreifen der Rückenlinie. Sein Ansatz ist am oberen Schulterblattrand.
M. splenius (Riemenmuskel)
Der Riemenmuskel ist der für die Aufrichtung wichtigste Muskel. Er entspringt an den Dornfortsätzen der ersten Brustwirbel, am Nackenband und an der Lendenfaszie (Fascia thoracolumbalis). Er teilt sich dann in zwei Muskelbäuche auf, die an den Querfortsätzen der mittleren Halswirbel (M. splenius cervicis) bzw. am Hinterhauptsbein festmachen (M. splenius capitis). Er verbindet also das Genick des Pferdes direkt mit den Dornfortsätzen des Widerrists und folgt damit dem Verlauf des Nackenbandes.
M. semispinalis capitis (Halbdornmuskel)
Der Halbdornmuskel ist ein sehr tief liegender Muskel. Er bildet eine große Platte, die zwischen Hinterhaupt, Halswirbelsäule, Nackenband und den vorderen Brustwirbeln aufgespannt ist.
Alle Muskeln der oberen Halsmuskulatur bewirken bei Kontraktion ein Heben des Halses und Kopfes und sind damit für die Aufrichtung relevant. Durch ihre Verbindung zum Widerrist, bewirken sie bei Anspannung ebenfalls ein Anheben des Rückens. Insbesondere der Riemenmuskel, der direkt mit den Dornfortsätzen des Widerrists verbunden ist. Je mehr Aufrichtung wir von unserem Pferd verlangen, desto mehr muss auch die obere Halsmuskulatur arbeiten. Um dies zu ermöglichen, muss diese Muskulatur jedoch erst trainiert und aufgebaut werden. Wichtig ist dabei zu erwähnen, dass auch im „Vorwärts-Abwärts“ die obere Halsmuskulatur bereits zum Einsatz kommt und unter Spannung steht. Daher sind auch in dieser Haltung für ein Pferd mit schwach ausgeprägter Muskulatur regelmäßige Pausen wichtig, in denen die Muskulatur gestreckt und entspannt werden kann.
Fazit
Als Reiter müssen wir den Pferderücken anheben, wenn wir Pferde reiten wollen, ohne ihnen Schaden zuzufügen. Das Anheben des Rückens entsteht durch Zug an den Dornfortsätzen, insbesondere der Brustwirbelsäule, nach vorne Richtung Kopf. Dies wölbt den Rücken nach oben auf. Der Zug nach vorne kann auf zwei Wegen erreicht werden: Durch maximales Strecken des gesamten Nacken- und Rückenbands, so dass dieses in Spannung gerät. Oder durch Anspannung der oberen Halsmuskulatur und dem daraus resultierenden Zug an den Dornfortsätzen des Widerrists. Je mehr Aufrichtung wir von unserem Pferd verlangen, desto mehr Kraft muss die obere Halsmuskulatur zum Tragen des Rückens aufbringen. Die Tragkraft dieser Muskeln muss daher nach und nach auf schonende Art und Weise trainiert werden, um Schäden für den Rücken zu vermeiden.
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